Autor: Lola Köttgen; stud. paed.; Universität Hamburg
Frühe Sprachentwicklung
1. Beobachtungsbögen
Beobachtungsbogen für vorsprachliche Fähigkeiten und Eltern-Kind-Interaktion (BFI) (Schelten-Cornish/Wirts 2008)
2. Fragebögen
ELFRA – Elternfragebögen für die Früherkennung von Risikokindern
1. Inhalt des ELFRA
2. Zielgruppe und Testzeitpunkt
3. Begründung des Verfahrens, Relevanz, Ziele
4. Aufbau
Der ELFRA in der zweiten überarbeiteten und erweiterten Auflage (2005) besteht aus zwei Elternfragebögen, welche der Früherkennung von Risikokindern für eine Sprachentwicklungsstörung dienen sollen. Er beruht auf internationaler Forschung, besonders aber auf zwei Elternfragebogen aus den USA („The MaxArthur Communicative Development Invesories“ (1993) und „The Language Development Survey“ (1989)) und wird als Schätzverfahren bezeichnet, da er auf Fremdeinschätzungen der Eltern beruht.
Inhalt des ELFRA
Manual
Jeweils 5 Fragebogen (ELFRA-1, ELFRA-1 Kurzversion, ELFRA-2, ELFRA-2 Kurzversion)
Jeweils 5 Auswertungsbogen (ELFRA-1, ELFRA-1 Kurzversion, ELFRA-2, ELFRA-2 Kurzversion)
Jeweils 5 Elternmerkblätter (U6, U7)
Hinweis zu Ratgebern
Zielgruppe und Testzeitpunkt
Dieses diagnostische Verfahren ist vorgesehen für Kinder im Alter zwischen 12 und 24 Monaten bei den jeweiligen Vorsorgeuntersuchungen U6 und U7 durch die Kinderärztin/den Kinderarzt oder in klinischen oder logopädischen Einrichtungen und Praxen. Dieses sehr frühe diagnostische Verfahren wird mit der Gefahr begründet, dass Sprachdefizite verfestigt würden, wenn keine frühzeitige Intervention erfolge. „So früh und so effektiv wie möglich sollten also schon erste Anzeichen einer Sprachentwicklungsverzögerung behandelt werden.“ (s9) Ausgeschlossen von diesem Test sind Kinder, die nicht mit deutsch als Muttersprache aufgewachsen sind mit der Begründung, dass für solche Kinder erst ein Screening im Alter von drei Jahren sinnvoll ist.
Begründung des Verfahrens, Relevanz, Ziele
Diese Elternfragebögen sind als Ergänzung zum Früherkennungsprogramm zu sehen und sollen besonders der Vorhersage der kindlichen Entwicklung dienen. Die Autorinnen sind der Meinung, dass Eltern den Entwicklungsstand ihrer Kinder gut einschätzen können und besonders durch das Format und den prägnanten Charakter der Fragen (keine offenen oder mehrdeutigen Fragen) ein geringes Risiko von Fehleinschätzungen besteht.
Das erklärte Ziel dieses Verfahrens ist es, eine Prognose über den Entwicklungsverlauf des Kindes erstellen zu können und vorsorglich Risikokinder erkennen zu können. Um dieses Ziel zu erreichen möchten die Autorinnen eine Anamnesehilfe für Kinderärztinnen und –ärzte bereitstellen, welche zeitlich und materiell ökonomisch sind, da sie schnell durchführbar und auswertbar sind, aber auch kein aufwändiges Material bedürfen.
Aufbau
Die „Elternfragebögen für die Früherkennung von Risikokindern“ bestehen aus dem ELFRA-1 und dem ELFRA-2.
Mit dem ELFRA-1 werden Sprache (aufgeteilt in Sprachproduktion und Sprachverständnis), Gesten und Feinmotorik der 12 Monate bzw. 18 Monate alten Kinder bei der U6 abgefragt.
Sprache
Die Sprachfähigkeit ist gegliedert in drei Teile: Wortschatz, Produktion von Lauten und Sprache, Reaktion auf Sprache. Diese drei Teile stellen den Hauptteil des ELFRA-1 dar und haben somit auch die größte Aussagekraft.
Die Wortschatzliste besteht aus 164 Wörtern, bei welcher das befragte Elternteil den produktiven und rezeptiven Wortschatz des Kindes durch ankreuzen angeben soll. Hierbei (wie auch in den weiteren Teiles des Tests) gilt ein Wort auch dann als Teil des Wortschatzes, wenn es in kindlicher Form angewandt wird (z.B. „miau“ anstatt „Katze“).
Beim zweiten Teil werden mit 17 Fragen Teilfähigkeiten abgefragt wie die gerichtete Aufmerksamkeit auf etwas, Nachahmung von Sprachmelodie oder Satzteilen sowie das sogenannte „Spielen mit Sprache“.
Im dritten Teil werden mit 7 Fragen die Reaktionen des Kindes auf Verbote, Aufforderungen oder den eigenen Namen abgefragt, da diese zwar nicht den aktiven Wortschatz widerspiegeln, Kinder jedoch oft mehr verstehen, als sie selber produzieren.
Gesten
Gesten gelten können als Zwischenschritt zum produktiven Wortschatz gesehen werden. Mit 30 Fragen werden hier die gestischen Reaktionen auf Fragen und die eigene Produktion von Gesten und Handlungsabfolgen erfasst. Hierbei wird unterschieden zwischen instrumentellen, abstrakten, symbolischen, konventionalisierten Gesten und anderen typischen Handlungsabfolgen unterschieden.
Feinmotorik
Mit 13 Fragen wird in diesem Teil der entwicklungsneurologische Status des Kindes erfasst. Vor allem bei schwerwiegenden Störungen ist dieser Teil wichtig und aussagekräftig. Die Feinmotorik wird abgefragt obwohl sie nicht direkt mit den motorischen und sprachlichen Kompetenzen korreliert, da sie Hinweise auf den entwicklungsneurologischen Status des Kindes gibt und somit ebenfalls relevant für die Eltern ist.
Der ELFRA-2 ist für die U7, also bei 24 Monate alten Kindern vorgesehen. Dieser Fragebogen ist in die drei Teile produktiver Wortschatz, Syntax und Morphologie gegliedert.
Produktiver Wortschatz
Diese Wortschatzliste beinhaltet die Liste auf dem ELFRA-1, zuzüglich 96 weiterer Wörter. Im Unterschied zum ELFRA-1 wird hierbei nicht mehr der rezeptive Wortschatz abgefragt da dieser für das Elternteil schwer einzuschätzen wäre bei diesem Ausmaß des Wortschatzes.
Syntax
Nur, wenn die Frage, ob das Kind Wörter schon miteinander verbindet, positiv beantwortet wird, wird der Fragebogen fortgesetzt, ansonsten endet der Fragebogen mit dieser Frage. Hierbei wird von den Autorinnen das Problem erkannt, dass manche Eltern ihre Kinder zu fortschrittlich einschätzen und schon die Aneinanderreihung von zwei Wörtern als ein Verbinden verstehen. Diesem Problem wird mit der Aufforderung begegnet, Beispielsätze zu nennen. Dieser Teil besteht aus 25 Items mit Strukturformen in Form von Aussagen, Fragen und Satzbeispielen, wobei hierbei immer die Möglichkeit besteht die kindersprachliche Form („Papa weg“) oder die korrekte Form („Papa ist weg“) anzukreuzen.
Morphologie
In diesem Teil wird die Grammatikentwicklung des Kindes im Bereich „Besitz“, „Mehrzahl“, „Vergangenheitsform“ und „Endungen bei Tätigkeitswörtern“ abgefragt.
Des weiteren sind Kurzversionen für die kinderärztliche Praxis vorhanden, die eine kürzere Bearbeitungszeit benötigen, jedoch trotzdem das Ziel einer gleichen Aussagekraft haben. Für den ELFRA-1 wurde hierfür die Wortschatzliste auf 134 Wörter gekürzt. Für den ELFRA-2 wurde die Wortschatzliste nicht gekürzt, stattdessen wurden die Teile Syntax und Morphologie gestrichen.
Durchführung und Auswertung
Es ist vorgesehen, dass die Kinderärztin oder der Kinderarzt bei der U6, vor der Besprechung dem Elternteil den ELFRA-1 zur Beantwortung übergibt. Es wird von einer Bearbeitungszeit von 10-20 Minuten gesprochen, jedoch hängt diese Maßgeblich von der Schnelligkeit und der Lesekompetenz des Elternteils ab.
Die Auswertung, genau wie die Durchführung gilt als schnell und unkompliziert. Für die Auswertung werden die jeweiligen Items zusammengezählt (beim Wortschatz im ELFRA-1 ist es hierbei wichtig, zwischen dem produktiven und rezeptiven Wortschatz zu unterscheiden und generell darauf zu achten, keine Werte oder Wörter doppelt zu zählen). Bei der Auswertung der Wortschatzlisten geht es ausschließlich um Quantität und es wird inhaltlich nicht differenziert, welche Wörter das Kind spricht. Im ELFRA-2 werden im syntaktischen und morphologischen Bereich zwei Punkte für die korrekte Form und ein Punkt für die entwicklungsspezifisch inkorrekte Form vergeben. Die errechneten Werte werden in der Folge mit den kritischen Werten verglichen und sofern das Ergebnis unter dem kritischen Wert liegt, wird von einem Risikokind gesprochen. Die Autorinnen haben den „kritischen Wert“ mit einem Punktestand definiert, den die 20 Prozent der schwächsten Probanden erreichen konnten oder noch unterschritten.
Von einem Risikokind wird beim ELFRA-1 gesprochen, wenn in den beiden Skalen „Sprachproduktion“ und “Sprachverständnis“ der kritische Wert unterschritten wurde. Wenn auch im Bereich „Gesten“ und „Feinmotorik“ das Ergebnis unterhalb des kritischen Wertes liegt, ist die Störung noch wahrscheinlicher und auch stärker.
Im ELFRA-2 sind die Skalen Syntax und Morphologie auch von nachrangiger Bedeutung und nur bei einem geringen Wortschatz sind diese Werte zu berücksichtigen.
Dynamisch diagnostischer Prozess
Nachdem ein Kind bei der U6 durch den ELFRA-1 kritische Entwicklungswerte unterschritten hat, wird die diagnostische Annahme gemacht, das Kind sei ein Risikokind. Mögliche Entscheidungen des Kinderarztes oder der Kinderärztin wären eine Hörüberprüfung, die Beratung der Eltern oder das Übergeben und Besprechen des Elternratgebers von Dr. Ute Ritterfeld, der den Fragebögen beiliegt.
Wenn bei dem ELFRA-1 Schwellenwerte erreicht werden, die gerade noch oberhalb des Risikowertes liegen, kann eine wiederholte Überprüfung durch den ELFRA-1 im Alter von 18 Monaten erfolgen.
Gilt das Kind nicht als Risikokind, kann der ELFRA-2 angewendet werden um sicher zu gehen, dass das Kind nicht mittlerweile die kritischen Werte unterschreitet, da eine solche späte Unterschreitung schon vorgekommen ist. Gilt das Kind jedoch als Risikokind nach der U6-Untersuchung, sollte der ELFRA-2 zwangsläufig durchgeführt werden. Gilt bei dieser erneuten Untersuchung das Kind als ein Risikokind, sind die empfohlenen, weiteren Maßnahmen eine umfassende sprachdiagnostische Abklärung, das Hinzuziehen des Elternratgebers (hierbei gibt es zwei unterschiedliche für die U6 und U7) und die Einleitung von Interventionsmaßnahmen; auch eine Zusatzdiagnostik der nicht-sprachlichen Entwicklung kann in Betracht gezogen werden. Die diagnostische Nachuntersuchung im Alter von 36 Monaten kann zum Beispiel durch das SSV oder den SETK 3-5 erfolgen.
Interne Kritik
Die Autorinnen selber erwähnen eigentlich keine negative Kritik. Positive Aspekte sind ihrer Meinung nach die perfekte Objektivität, die durch das bloße Auszählen der Ergebnisse gesichert sei. Des weiteren sei die Reliabilität (Zuverlässigkeit) auch relativ hoch – beim ELFRA-2 jedoch höher als beim ELFRA-1, bei dem besonders die Feinmotorik nicht besonders reliabel ist. Auch das Alter der Kinder spielt eine Rolle bei der Validität, so sind die Antworten der Eltern weniger valide, wenn das Kind jünger ist.
Die Länge der Wortschatzliste kann kritisiert werden, da die Eltern unter Druck gesetzt werden können, mehrere Kreuze setzen zu müssen. Laut der Autorinnen sei diese Kritik berechtigt, jedoch hätten sie versucht durch ausführliche Instruktionen diese Gefahr einzudämmen. Ein Grund für keine Kürzung der Liste ist, dass dadurch eine Fehldiagnose eintreten könne, da nicht alle Wörter, die das Kind eventuell spricht, aufgelistet wären, was besonders bei älteren Kindern (zum Beispiel mit Down-Syndrom) auftreten könnte.
Externe Kritik
Obwohl die Autorinnen ihren Test als valide bezeichnen, sehen andere Autorinnen und Autoren dies anders: „Die prognostische Validität des ELFRA-1 erwies sich als unbefriedigend. [...] Der ELFRA-1 kann somit nicht zur routinemäßigen Anwendung im Rahmen der U6 empfohlen werden.“ (Sachse, Saracino und von Suchodoletz 2007, 17) Jedoch sind die in diesem Artikel zitierten Werte nicht welche, die in der zweiten Auflage noch aktuell sind. Auch die „Sensitivität und Spezifität entsprechen nicht den Anforderungen, die an ein Screening-Verfahren zu stellen sind.“ (Sachse, Saracino und von Suchodoletz 2007, 21)
Auch in anderen Quellen sind kritische Worte zu finden, so wird auf der Seite „Entwicklungsdiagnostik“ kritisiert, dass die Validität der elterlichen Auskünfte nicht in Frage gestellt würden, welche jedoch durch die große Wortschatzliste besonders gefährdet sei. Auch die „Argumentation, dass Minderleistungen im sprachlichen Bereich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf defizitäre kognitive oder Intelligenzleistungen deuten, ist kritisch zu diskutieren“ (Petermann und Macha 2005) Anders als die zuvor zitierte Quelle wird hier aber betont, dass der ELFRA im Großen und Ganzen ein sinnvolles Verfahren mit geringem zeitlichen Aufwand und einer möglichen frühzeitigen Diagnose sei.
Sehr positiv hingegen rezensiert die „testzentrale“ (ein Online-Versand-Unternehmen für verschiedenste Tests) das Verfahren und schreibt: „Unabhängige empirische Untersuchungen belegen die inhaltliche Validität, die Differenzierungsfähigkeit sowie die prognostische Validität. Ganz besonders wichtig ist, dass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass die Angaben der Mütter (bzw. Eltern) hoch valide sind.“ (testzentrale 2014)
Kritisch zu sehen sind außerdem die Formulierungen, da von „schwerwiegenden Problemfällen“ die Rede ist, wenn von Kindern gesprochen wird, was diskriminierend sein kann. Auch der stetige Bezug auf die Mutter kann negativ bewertet werden, da somit der Vater keine Erwähnung findet.
Abgesehen davon besteht die Gefahr der Diskriminierung von bildungsfernen Eltern oder solchen, die nicht sicher in der deutschen Sprache oder im Lesen sind, da Formulierungen wie „feinmotorisch“ nicht unbedingt zum Wortschatz Aller gehört. Hierzu schreiben die Autorinnen, dass die Instruktionen so verständlich formuliert seien, dass meist keine weiteren Fragen aufkämen, was auch durch Ergebnisse unterstützt würde, „die am Institut für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in München erhoben wurden.“ (Manual ELFRA, S. 31)
Literatur
Petermann, und Macha. 2005. http://entwicklungsdiagnostik.de/elfra.html(Zugriff am 27. Januar 2014).
Sachse, Saracino, und von Suchodoletz. Prognostische Validität des ELFRA-1 bei der Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen. 2007.
http://www.kjp.med.uni-muenchen.de/download/Sachse_ELFRA_2007.pdf(Zugriff am 27. Januar 2014).